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Digital HR: Chancen, Herausforderungen, Zukunft – Im Gespräch mit HR-Digitalisierungsexperte Prof. Dr. Thorsten Petry

  • Beitrags-Kategorie:Blog

Schnellere Verarbeitung von Daten, effizientere Kommunikation und optimierte Prozesse – die digitale Transformation hat auch das Personalwesen erreicht. In diesem Blogbeitrag tauchen wir gemeinsam mit einem Experten in die Welt einer digitalisierten HR ein. Wir klären deren Bedeutung für Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die damit verbundenen Herausforderungen und zukünftigen Chancen.

Unser Interviewpartner ist Prof. Dr. Thorsten Petry, Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensführung im interdisziplinären Studiengang Media Management an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Im Mittelpunkt seiner Projekt- und Forschungsinteressen stehen die Themenbereiche Strategie, Organisation und Personalmanagement – und der Einfluss der Digitalisierung hierauf.  Vor dem Ruf an die Hochschule war er Strategieberater bei verschiedenen namhaften internationalen Beratungsunternehmen. Als Managementberater, Coach, Referent und Trainer hilft er seit über 20 Jahren Entscheidungsträgern in Unternehmen bei der Strukturierung und kritischen Reflektion von Managementtrends und -hypes.


1. Guten Tag Prof. Dr. Petry, schön dass Sie sich heute für uns Zeit genommen haben. Gerne würden wird direkt mit der ersten Frage starten.
Was verstehen Sie unter Digitalisierung im HR bzw. Digital HR?


Das ist ein Ausdruck, der sehr unterschiedlich interpretiert werden kann. Ich verstehe darunter nicht nur, dass das Personalmanagement digital wird, sondern habe diesbezüglich ein breiteres Verständnis von «Digitalisierung im HR». Für mich geht es vielmehr darum, den Personalbereich auf das digitale Zeitalter vorzubereiten und umzustellen und sich als Unternehmen zeitgemäss aufzustellen. Dazu gehört die Nutzung neuer Technologien, aber auch die Anpassung an sich schnell verändernde und herausfordernde Umgebungen.

2. Sie haben eine Studie mit dem Titel: «Benchmark Studie zum Digitalisierungsgrad von HR» zusammen mit Prof. Dr. Biemann durchgeführt. Was sind die drei relevantesten Ergebnisse, die Sie gerne mit uns teilen möchten?


Erfreulich ist, dass die Studie zeigt, dass das Thema Digitalisierung in den Unternehmen angekommen ist und eine hohe Relevanz im HR-Bereich gesehen wird. Bei der praktischen Umsetzung und der Zufriedenheit mit den Ergebnissen offenbart sich jedoch ein anderes Bild: Hier zeigt sich, dass noch erheblicher Verbesserungsbedarf besteht. Ein Aspekt, der auch festgestellt werden kann, ist, dass die meisten Unternehmen lediglich die bereits bestehenden HR-Prozesse automatisieren und sich bei diesem Schritt nicht fragen, ob diese Prozesse in dieser Form Sinn machen oder ob man diese vielleicht anpassen könnte. Zudem werden oft nur «einfachere» Prozesse in Angriff genommen, obwohl es sich lohnen würde, auch komplexere HR-Prozesse zu bearbeiten. Der Fokus der Unternehmen liegt somit eher auf den Kosten und der Automatisierung als auf dem neuen Nutzen und Mehrwert, der aus der Umstellung entstehen könnte.

3. Worin sehen Sie die drei größten Herausforderungen für mittelständische Unternehmen im Bereich HR Digitalisierung?


Die beiden grössten Herausforderungen für die Unternehmen sind nach den Ergebnissen der Studie Zeitmangel und Personalmangel. Wobei beides zusammenhängt und auch als eine Herausforderung gesehen werden kann. Eine weitere Herausforderung sehe ich in der strategischen Priorisierung. Meiner Erfahrung nach nehmen sich Unternehmen oft zu viel vor, stellen dann fest, dass die Zeit oder das Personal fehlt und setzen dann nichts oder nur wenig um, anstatt sich einzelne Schwerpunkte zu setzen.

4. In welchen HR-Disziplinen ist die Digitalisierung schon weit fortgeschritten? Wo gibt es noch Optimierungsbedarf? Und warum?


Vor allem das Recruiting ist sehr weit fortgeschritten, einerseits aufgrund der Dringlichkeit, neue Arbeitskräfte zu finden, andererseits aufgrund der Vielzahl der Anbieter in diesem Bereich. Danach folgt die Personalverwaltung. Anschliessend zeigt sich eine grosse Lücke. Am schlechtesten schneidet beispielsweise die strategische Personalplanung ab, aber auch das Personalcontrolling oder die Personalentwicklung sind wenig fortgeschritten.


5. Welche Rahmenbedingungen benötigt eine erfolgreiche HR-Digitalisierung Ihrer Meinung nach?


Ich unterscheide vier Bereiche, die für eine erfolgreiche HR-Digitalisierung gegeben sein müssen. Als ersten Bereich sehe ich den Menschen. Es braucht anpassungsfähige, kompetente und entwicklungswillige Menschen. Prozesse und Strukturen betrachte ich als zweiten Bereich, wobei Faktoren wie Geschwindigkeit, Agilität sowie Innovation eine entscheidende Rolle spielen. Verfügbare und qualitativ hochwertige Daten bilden den dritten Bereich, wobei deren effektive Verarbeitung von entscheidender Bedeutung ist.  Der vierte Bereich umfasst zielführende Steuerungskennzahlen, da ein gewisses Controlling auf Basis von Daten und Messungen unerlässlich ist.


6. Die Digitalisierung im HR-Bereich hat auch die Anforderungen an die HR-Mitarbeitenden verändert. Welche Kompetenzen müssen HR-Mitarbeitende künftig mitbringen, um für Digital HR gerüstet zu sein?


Ich versuche, drei Kompetenzen hervorzuheben, die meiner Meinung nach notwendig sind, um für Digital HR gerüstet zu sein. Als erstes ist da die Einstellung bzw. der Mindset. Die Mitarbeitenden sollten sich weiterentwickeln wollen und sich fragen, was es noch Neues gibt. Sie sollten also ein sogenanntes «Growth Mindset» besitzen. Ausserdem sind ein gewisses technisches Verständnis und die Bereitschaft, sich mit technischen Themen auseinanderzusetzen, von grossem Vorteil. Als dritte Kernkompetenz sehe ich den Kundenfokus, eine unverlässliche Eigenschaft, die alle Mitarbeitenden besitzen sollten.


7. Was sind die zwei grössten Fehler, die Unternehmen bei der HR-Digitalisierung machen können?


Ein weit verbreiteter Fehler besteht darin, die Technik vor den Nutzen oder die Effekte zu stellen. Man sollte zuerst das Problem analysieren und dann die Technik entwickeln bzw. suchen, um es zu lösen. Und der zweite grosse Fehler ist die Priorisierungsproblematik, die ich bereits angesprochen habe.


8. Als HR-Verantwortlicher eines mittelständischen Unternehmens, das sich in den Anfangsphasen der Digitalisierung befindet: Welchen Bereich würden Sie als erstes priorisieren und aus welchen Gründen?


In jedem Fall ist zunächst eine Problemanalyse durchzuführen und anschliessend eine Prioritätensetzung entsprechend der verfügbaren Ressourcen vorzunehmen. Darüber hinaus ist es ratsam, die bestehenden Prozesse zu überprüfen und zu überdenken und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.


9. Welche Perspektiven haben Sie auf die Rolle von Big Data innerhalb der HR-Digitalisierung? Und wie bewerten Sie die Chancen sowie die Risiken, die der Einsatz generativer AI im HR-Bereich mit sich bringt?


Grundsätzlich benötigt Künstliche Intelligenz als Basis Daten. Da es kaum einen Bereich im Unternehmen gibt, in dem mehr Daten vorhanden sind als im Personalbereich, sehe ich darin grosses Potenzial. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass es sich um sensible personenbezogene Daten handelt. Wichtig ist hier, einen vernünftigen Weg zu finden, die Daten effizient zu verwerten und gleichzeitig keine individuellen Rückschlüsse zuzulassen. Gerade die Analyse und Verarbeitung von Daten kann mit Hilfe von KI effizient verarbeitet und ausgewertet werden, wobei die Entscheidungen letztendlich immer noch von den Personalverantwortlichen getroffen werden sollten. In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, die von der Künstlichen Intelligenz gelieferten Ergebnisse und Empfehlungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen und die eigenen Erfahrungen für eine fundierte Beurteilung heranzuziehen. Ich bin überzeugt, dass KI im HR-Bereich unter Berücksichtigung ethischer und datenschutzrechtlicher Fragen Fuss fassen wird.


10. Wie stehen Sie zum Einsatz von Chatbots im HR? Inwiefern können diese im Bereich HR einen Mehrwert generieren?


Auch wenn es in der Vergangenheit einige ernüchternde Einsatzbeispiele gab, bin ich von der zugrunde liegenden Technologie überzeugt und bin der Ansicht, dass der Einsatz von Chatbots in den kommenden Jahren signifikant zunehmen wird. ChatGPT verdeutlicht bereits das umfangreiche Potenzial dieser Technologie. Für Unternehmen, die in der Lage sind, auf einen Datensatz zuzugreifen, der Standardfragen von Bewerbenden und Mitarbeitenden umfasst, und die über ein sorgfältig trainiertes sowie umfassend geprüftes System verfügen, ist das Potenzial zur Effizienzsteigerung enorm. FormularbeginnIm Hinblick auf zukünftige technologische Entwicklungen sehe ich klare Vorteile für den Einsatz von Chatbots im HR-Bereich und bin überzeugt, dass sich diese bei sinnvollem Einsatz in Zukunft durchsetzen werden.


Vielen Dank für das Gespräch Prof. Dr. Petry.


Das Interview führte Alexandra Heubuch
Alexandra Heubuch ist Wirtschaftspsychologin und arbeitet seit über 5 Jahren bei Umantis. In ihrer Rolle als Lead Scientific Research kooperiert sie mit führenden Universitäten und Hochschulen im DACH-Raum und unterstützt dabei, wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis anwendbar zu machen.