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Das Mitarbeitergespräch neu gedacht – Erkenntnisse aus Praxis und Forschung

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Das Mitarbeitergespräch (MAG): Für manche zielführend und wichtig, für andere eine Qual und nicht wirklich wertstiftend.
Dr. Meike Wiemann-Huegler und Stephan Richter haben die Tradition des MAG in ihrem Workshop auf der DIGICON24 kritisch hinterfragt. 


Stephan brachte hierbei seine langjährige Praxiserfahrung im Bereich Prozess- und Softwareberatung im Talent Management Umfeld als Projektleiter und Business Consultant bei der Abacus Umantis AG ein. Ergänzt wurde dies durch die wissenschaftliche Perspektive von Meike, die als Forscherin und Lehrbeauftragte an der Universität St. Gallen tätig ist und sich umfassend mit den Themen Vertrauen und Motivation in Organisationen beschäftigt. 


Im Nachgang zum Workshop haben wir die beiden nochmal zu den wichtigsten Aspekten befragt: 


1. Stephan: Wie sieht ein klassisches MAG aus und warum ist es deiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäss? 
Ein klassisches MAG folgt in der Regel einem jährlichen Zyklus und umfasst meist einen Rückblick auf die Zielerreichung, Aufgaben, Kompetenzen sowie die Festlegung von Entwicklungszielen und Verhaltenskriterien. Diese werden häufig durch Rankings und Bewertungen ergänzt, die zu einer Gesamtnote oder Beurteilung führen. Es ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht mehr zeitgemäss. Erstens werden oft zu viele Ziele verfolgt, was zu einer Überforderung der Mitarbeitenden führen kann. Zweitens steht oft der Bonus im Vordergrund und nicht die tatsächliche Leistung. Drittens wird das Verfahren von einigen Mitarbeitenden als Kontrolle oder Zwang empfunden. Zudem werden oft Themen diskutiert, die Monate zurückliegen und wenig mit dem aktuellen Arbeitsalltag zu tun haben, was den Eindruck von mangelnder Aktualität und Individualität vermittelt. Viele Unternehmen, die uns auf unsere innovativen MAG-Lösungen ansprechen, bemängeln, dass das klassische MAG oft zu kompliziert und zeitaufwändig sei und zudem oft keinen klaren Mehrwert biete und häufig zum falschen Zeitpunkt stattfinde.


2. Meike: Was sagt die Forschung dazu? Welche Auswirkungen hat ein klassisches MAG?

Der Gallup Engagement Index 2023, ein Indikator für das emotionale Engagement und die Bindung der Mitarbeitenden an ihre Arbeit und ihr Unternehmen, zeigt, dass nur noch wenige Mitarbeitende wirklich engagiert sind, z.B. geben 72% der Befragten an, innerlich bereits gekündigt zu haben (“quiet quitting”). Dies sind alarmierende Zahlen für die Unternehmen und zeigt deutlich auf: die Förderung der Motivation der Mitarbeitenden ist dringend notwendig. Ein gut konzipiertes, wertschätzendes Gespräch, in dem die Mitarbeitenden Feedback erhalten, kann hierbei unterstützen. 


Allerdings ist Feedback nicht gleich Feedback. Man denkt schnell: Feedback hat immer eine positive Wirkung auf die Leitung der Geführten. Doch das trifft nicht in allen Fällen zu. Studien zeigen, dass Menschen ungern Feedback oder eine Beurteilung von einer Person annehmen, deren Absichten unklar sind. Anders sieht es aus, wenn wir als Mitarbeitende das Gefühl haben, dass uns die andere Person kennt und wir ihr wichtig sind bzw. wir glauben, dass sie uns fördern möchte und uns wertschätzt. Wertschätzung ist einer der grössten Treiber für Motivation und Performance. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Person Feedback gibt, die auch den Bezug dazu hat und die Mitarbeitenden erlebt. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen auch, dass im MAG nicht zu viel Druck und Angst erzeugt werden sollte, da dies die Konzentration und die Entwicklung der Mitarbeitenden im Gespräch reduziert.


3. Einige Unternehmen entwickeln sich hier allerdings eher zurück: Prominentestes Beispiel ist hier wohl SAP, die angekündigt haben, wieder vermehrt zu Rankings und Kategorisierung in Leistungstragende oder nicht tendieren.  Wie stehen sie dazu?  
Davon halte ich nichts. Die Forschung zeigt eindeutig, dass Feedback in Form von Rankings und Ratings vielmehr urteilt als coacht und dadurch die Kollaboration zerstört. Ausserdem empfinden Mitarbeitende durch Rankings oder Ratings im Feedbackprozess einen Statusverlust, wenn sie nicht in die beste Kategorie eingestuft werden. Es entsteht eine Kultur des Rankings statt des Coachings, was die Zusammenarbeit zerstört, da sich die Mitarbeitenden in einem Konkurrenzkampf befinden. Die Einzigen, die von einem solchen System profitieren, sind meiner Meinung nach die Top-Manager, bei denen durch diese Art der Macht- und Kontrollausübung das Reward-System im Gehirn aktiviert wird.


4. Was sollten die Unternehmen stattdessen tun?
Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass partizipative, adaptive, lernorientierte und transparente/faire MAG das Kooperationsklima und das Vertrauen stärken. So gehören z.B. Teamziele mit stärkenorientierter Rollenverteilung eher in ein MAG als individuelle Ziele, die nur den Wettbewerb zwischen den Mitarbeitenden fördern. Ein Konzept, das eine gute Alternative zum klassischen MAG darstellt, ist das Feedforward Gespräch.


5. Wie könnte ein Feedforward Gespräch aussehen?
Zunächst sollte versucht werden, herauszufinden, in welchen Situationen sich die Mitarbeitenden besonders erfolgreich gefühlt haben. Danach werden die Gründe dafür ermittelt. So kann der persönliche Erfolgscode entschlüsselt und erklärt werden, was zum Erfolg beigetragen hat. Dazu gehören die Stärken, Fähigkeiten und Handlungen der Person. Abschliessend ist es wichtig, die wichtigsten Erkenntnisse und Gründe, die zuvor besprochen wurden, zu reflektieren und auf die Zukunft zu beziehen. Gemeinsam mit den Mitarbeitenden soll analysiert werden, inwieweit die Aspekte in zukünftigen Plänen und Aufgaben berücksichtigt und umgesetzt werden können. So kann direkt mit ihnen besprochen werden, wie diese zukünftigen Aufgaben möglichst erfolgreich gestaltet werden können.


6. Stephan, hast du auch eine innovative Alternative zum klassischen MAG?
Ich bin ein grosser Fan des Konzepts «Mein Beitrag», dass ich auch schon in Kundenprojekten umsetzen durfte. Der Kern von «Mein Beitrag» ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Mitarbeitenden die Frage zu stellen: Was kannst du zum Erfolg (Unternehmen/Team/Person) beitragen? Eine einzige Frage. Simpel und effektiv. Ein Vorteil dieses Ansatzes ist, dass diese Frage über alle Hierarchien hinweg gestellt werden kann. Und wenn jede Person auch nur einen Punkt nennt, den sie in Zukunft an ihrem Beitrag verbessern möchte, ist das in der Regel viel effizienter als lange Ziellisten vorgegeben zu bekommen. Allerdings geht dabei die Vergleichbarkeit und einige KPIs verloren. Damit dieses Konzept so umgesetzt werden kann, braucht es aber auch Vertrauen, das heisst mehr Fokus auf Agilität und flexible Prozesse statt auf Unterschriften und starre Prozessvorgaben. Zudem soll dieses Konzept offen für regelmässige Anpassung und frei wählbar sein. Heisst: nur wenn die Mitarbeitenden oder die Führungskräfte ein Gespräch möchten, wird es gemacht. Auf diese Weise wird ein Gespräch nur dann einberufen, wenn es von den Parteien als nützlich erachtet wird.


7. Stephan, wie können Unternehmen das Thema Werte in ein MAG einfliessen lassen können?
An einem Beispiel kann, das sehr gut verdeutlicht werden. Angenommen, ein Unternehmen betrachtet «Vertrauen» als einen der Unternehmenswerte. Eine Möglichkeit ist es, im MAG konkret Fragen dazu zu stellen. Z.B. wie die Person «Vertrauen» gegenüber der Kundschaft zeigt. Meiner Meinung nach wäre es aber viel sinnvoller, wenn diese Werte auch tatsächlich gelebt werden und somit in die Prozesse des Unternehmens und in die Gestaltung der MAG einfliessen.


8. Meike, können solche MAG auch im Team stattfinden und wie könnte das implementiert werden?
Selbstverständlich. Ziel solcher Gespräche im Team ist es, die Zielerreichung und die Prozesse zu überprüfen. In solchen Gesprächen können individuelle Beiträge dazu beitragen, Ziele im Team zu klären und Fortschritte zu teilen. Darüber hinaus kann dies zu Identifikation und Zusammenhalt im Team führen. Ein kritischer Punkt ist jedoch, Kritik vor anderen zu kommunizieren. Hier kann z.B. ein Code of Conduct zur Kommunikation von Kritik helfen.


9. Vielen Dank für die spannenden Einblicke. Wir sind am Ende des Gesprächs angekommen: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die ihr gerne mit den Lesern teilen wollt?
Es ist wichtig, sicherzustellen, dass die Gespräche einen Mehrwert bringen und die behandelten Themen aktuell sind. Ausserdem lassen sich MAG durch die Nutzung von innovativen und wissenschaftlichen Ansätzen so erfolgreich wie möglich gestalten. «Feedforward» und «Mein Beitrag» sind innovative Alternativen zu klassischen MAG. Um besser auf die individuellen Bedürfnisse von Mitarbeitenden eingehen zu können, sollten MAG flexibel gestaltet werden. Grundsätzlich ist es aber wichtig, zu beachten, dass alle zu einem erfolgreichen MAG beitragen. Von den Führungskräften bis zu den Lernenden tragen alle die Verantwortung, das MAG zu einem wertschöpfenden Gespräch zu entwickeln. 


Vielen Dank für das Interview, Dr. Meike Wiemann-Huegler und Stephan Richter

Das Interview führte Alexandra Heubuch
Alexandra Heubuch ist Wirtschaftspsychologin und arbeitet seit über 5 Jahren bei Umantis. In ihrer Rolle als Lead Scientific Research kooperiert sie mit führenden Universitäten und Hochschulen im DACH-Raum und unterstützt dabei, wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis anwendbar zu machen.